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Die seelische Entwicklung
Ihr Kind möchte zunehmend selbstständig werden. Es entdeckt, dass es eine eigenständige Person ist. Es erkennt sich selbst im Spiegel.
Inhaltsverzeichnis
- Sturm- und Drang-Zeit des Kleinkindes
- Ich will alles und sofort
- Alles selber machen?
- Warum hört mein Kind nicht auf mich?
- Ich war's nicht!
- Warum ist beim kleinsten Kratzer ein Pflaster nötig?
- Warum lässt sich mein Kind weder Haare noch Nägel schneiden?
- Die ersten Doktorspiele?
- Wann ist ein Mädchen ein Mädchen? Wann ist ein Junge ein Junge?
Sturm- und Drang-Zeit des Kleinkindes
Ihr Kind spricht von sich nicht mehr in der dritten Person. Der eigene Wille kommt oft sehr heftig zum Vorschein. Das Kind möchte am liebsten alles auf einmal. Erst langsam findet es heraus, dass manche Wünsche nicht erfüllbar sind. Es erkennt, dass sein Handeln Folgen hat, die nicht immer angenehm sind. Es möchte möglichst alles allein machen und kann doch noch nicht alles.
Diese Sturm- und Drang-Zeit zu überstehen, ist weder für das Kind noch für die Eltern leicht. Sie erfordert Geduld, Verständnis und Grenzen. Geduld, um dem Kind zu helfen, sich selbst zu helfen. Verständnis für die Unausgeglichenheit des Kindes. Grenzen, damit es Orientierungshilfe bekommt.
Der Weg in die Selbstständigkeit ist schwer: Der Wunsch nach Geborgenheit wie der Drang nach Unabhängigkeit ist groß. Es widersprechen sich zwei starke Gefühle. So geborgen es bei der Mutter ist, so spannend ist die glitzernde Welt da draußen. Das Kind ist hin- und hergerissen. Diese starken inneren Gefühle sind ja auch nicht so leicht zu verstehen. Sie machen unsicher. Für die Umwelt beginnt eine schwierige Zeit. Das Kind braucht nun beides: Halt und Loslassen.
Ich will alles und sofort
Mit der Entdeckung des eigenen Willens können heftige Ausbrüche einhergehen. Wer kennt nicht das schreiende Kind im Supermarkt, das sofort Schokolade möchte? Ablenkungsversuche gelingen nicht immer. Das "Ich will" oder "Nein" ist sehr stark. Und Wünsche zu unterdrücken ist sehr schwer. Der eigene Wunsch, die Forderung gibt einem wachsenden Selbstwertgefühl Ausdruck.
Eine schöne Sache. Nur, jedem Wunsch kann und sollte man nicht nachgeben. Gerade in dieser Zeit der Unsicherheit, des Hin- und Herschwankens sind klare Grenzen unerlässlich. Sie ermöglichen dem Kind, unabhängig zu werden.
Wird allen Forderungen nachgegeben, ist nichts gewonnen: Das Kind hat keinerlei Orientierungshilfe und fühlt sich allein gelassen.
Alles selber machen?
Die wachsende Selbstständigkeit des Kindes fordert Geduld und Zeit. Vom Schuhband bis zum Essen - alles will selbst gemacht werden. Auch wenn es noch so schwierig ist und nicht so richtig klappt.
Natürlich geht's viel schneller, wenn Sie dem Kind alles abnehmen. Damit ist auf lange Sicht kein Gewinn gemacht. Das Kind möchte und kann viele Dinge selbst machen - es braucht dazu Zeit. Und Ihre Hilfe, wenn es überhaupt nicht zurechtkommt. Dann helfen Sie so viel, dass das Kind alleine weitermachen kann: Das Einfädeln des Reißverschlusses an der Jacke ist noch zu schwierig, das Zuziehen geht schon hervorragend. Dafür ist ein dickes Lob angebracht.
Letztendlich nützt die wachsende Selbstständigkeit allen: Das Kind gewinnt Selbstvertrauen, die Eltern werden entlastet.
Warum hört mein Kind nicht auf mich?
Manuel hämmert einen Ball immer wieder an die Wand. Auch nachdem ihn der Vater darauf aufmerksam gemacht hat, dass seine kleine Schwester schläft, hört er nicht auf. Absicht? Spaß?
Ein zwei- oder dreijähriges Kind ist von dem Willen, von der Lust bestimmt, bestimmte Dinge zu tun. Der Hinweis, dass die Schwester schläft, wird vermutlich nicht fruchten. Im Moment möchte Manuel eben den Ball an die Wand knallen.
Ein klares "Nein" ist verständlicher als ein Appell an ein soziales Gewissen, das sich in diesem Alter noch nicht ausgebildet hat. Manuel wird nur aufhören, um dem Vater einen Gefallen zu tun. Nicht aus Einsicht. Durch Anschreien oder härtere Strafen wird Manuel dem Vater den Gefallen nicht tun. Er wird eher bockig oder verliert Selbstvertrauen.
Nur zur Erinnerung: Auch Eltern machen manchmal "Verbotenes": Sie fahren zu schnell, essen ungesunde Dinge ...
Ich war's nicht!
Der Kuchenteller liegt zerbrochen auf dem Boden. Anna, die als einzige in der Küche war, ruft sofort: "Ich war's nicht, das war der Mario". Obwohl nur sie es gewesen sein kann, schiebt sie die Schuld auf den abwesenden Freund.
Der Drang, etwas Verbotenes zu tun (nämlich den Kuchen zu stibitzen) und der gleichzeitig vorhandene Wunsch, es den Eltern recht zu machen, führen zu dieser Idee. Es ist keine Lüge. Es kann als Hinweis auf ein wachsendes Gewissen gesehen werden. Immerhin weiß Anna sehr genau, dass sie etwas Verbotenes gemacht hat.
Für eigene Taten geradezustehen, ist nicht nur für Zwei- oder Dreijährige schwer. Bedeutet es doch, verbotene Handlungen als Teil von sich selbst anzunehmen und zu verantworten. Das Kind findet sich in diesem Alter noch am schönsten, am schnellsten ... Es möchte die "unartigen" Seiten an sich nicht sehen. Damit dies gelingen kann, ist ein gutes Verhältnis zu den Eltern wichtig.
Anna geht zum Kuchenteller und sagt: "Mama schimpft". Sie verlässt die Küche wieder. Ein weiterer Schritt ist geschafft. Anna kann ihren Impuls nun steuern. Um der Mutter einen Gefallen zu tun. Nicht, weil sie erkannt hat, dass der Kuchen für später bestimmt ist.
Ein "Gewissen" ist in diesem Alter noch nicht entwickelt. Es entsteht auch nicht von allein. Das Vorbild der Eltern, ihr Lob, ihre Missbilligung sind die Anreize für eine moralische Entwicklung. Im Moment übernehmen noch die Eltern die Rolle des Gewissens, indem sie immer wieder auf Grenzen hinweisen.
Warum ist beim kleinsten Kratzer ein Pflaster nötig?
Je mehr dem Kind klar wird, eine eigene Person zu sein, umso mehr sorgt es sich um seinen Körper. Der Körper als äußerer Ausdruck der Persönlichkeit soll ganz bleiben. Auch ein kleiner Kratzer erscheint dem Kind als große Wunde. Damit es sich ernst genommen fühlt, braucht es Trost und Zärtlichkeit.
Kleben Sie ein großes Pflaster auch auf einen kleinen Kratzer. Es bringt Ihr Verständnis zum Ausdruck. An Ihrer Zuversicht kann das Kind spüren, dass nichts Schlimmes geschehen ist.
Warum lässt sich mein Kind weder Haare noch Nägel schneiden?
Das Schneiden von Haaren, Fuß- und Fingernägeln wird von einem zweijährigen Kind als Verletzung des Körpers angesehen. In seinen Augen wird dem Körper etwas weggenommen. Diese Befürchtung kann man dem Kind nicht nehmen. Denn es wird ja tatsächlich etwas weggenommen. Nur: Nägel und Haare wachsen wieder nach.
Lassen Sie Ihr Kind zusehen, wenn Sie sich selbst die Nägel schneiden. Weisen Sie es darauf hin, dass nichts blutet, nichts weh tut und die Nägel wieder nachwachsen.
Um das Kind mit dem Haareschneiden vertraut zu machen, bekommt vielleicht die Puppe eine neue Frisur? Oder Sie lassen Ihr Kind bei der Friseurin oder beim Friseur zusehen, wie Ihnen selbst die Haare ohne Probleme geschnitten werden.
Zwingen Sie Ihr Kind, wird es sich auch in Zukunft heftig wehren.
Die ersten Doktorspiele?
Zwei- und Dreijährige sind sehr an ihrem Körper interessiert. Sie erforschen die eigenen Geschlechtsteile und die von anderen. Hier gibt es gute Gefühle zu entdecken, dort sieht es anders aus als bei mir...
Die Neugierde macht vor nichts Halt. Sie gehört zur Entdeckung des eigenen Körpers, des eigenen Ichs. Das bin ich und so sehe ich aus.
Viele Kinder wissen bereits, dass Mädchen eine Scheide und Jungen einen Penis haben. Ein interessanter Unterschied. Und bei den Erwachsenen erst: Die Mutter hat Brüste, aus denen vielleicht sogar Milch kommt (wenn ein Geschwisterchen geboren wurde). Ihre Scheide ist von Haaren überdeckt. Auch der Vater ist behaarter als der Nachbarjunge und sein Penis ist wesentlich größer. Nur einige Beispiele von den unzähligen Beobachtungen, die Kinder täglich machen.
Die Neugierde macht vor den Erwachsenen nicht Halt: Das Kind möchte auch hier alles genau sehen und befühlen. Eltern spüren selbst, wann eine Grenze erreicht ist. Ein klares Nein hilft dem Kind, auch für sich diesen Bereich zu schützen und Nein zu sagen.
Wann ist ein Mädchen ein Mädchen? Wann ist ein Junge ein Junge?
Der Vater sieht nicht nur anders aus als die Mutter, er macht auch andere Dinge. Das Kind registriert sehr genau, welche Rollenverteilung zu Hause stattfindet.
Der Vater kocht am Wochenende, die Mutter unter der Woche? Der Vater repariert die Waschmaschine, damit die Mutter waschen kann - oder ist es anders herum? Jede Kleinigkeit wird von großen Augen und Ohren bemerkt.
Papa steht zunächst für Mann, Mama für Frau. Eine gute Gelegenheit, über die Verteilung zu Hause nachzudenken. Manche Dinge kann eben die Partnerin oder der Partner besser oder macht sie lieber. Und es liegt nicht daran, dass es Tätigkeiten nur für Männer oder nur für Frauen sind.
Typische Verhaltensweisen für Jungen oder Mädchen werden zum guten Teil durch die Erwartungen der Eltern gefördert: Wird Felix für sein wildes Verhalten nicht eher bewundert, Sophia hingegen erntet mit dem gleichen Verhalten Tadel? Kinder spüren sehr genau, was von ihnen erwartet wird.
Sie sind zunächst noch nicht festgelegt. Genau dies ist die große Chance, dass Fähigkeiten und Eigenschaften nicht verschüttet werden.