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Foto: Viele quadratische Holzbauklötzchen liegen auf einem Holzbrett.
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Entwicklungsverzögerungen

Jedes Kind kommt bereits mit einer Vielzahl von Fähigkeiten auf die Welt. Trotzdem steht ihm zu diesem Zeitpunkt der größte Teil seiner Entwicklung noch bevor.

Vom Säugling zum erwachsenen Menschen

Eine Unmenge von kleinen Entwicklungsschritten in unterschiedlichen Bereichen sind notwendig, bis aus dem abhängigen Säugling ein erwachsener, selbstständiger Mensch werden kann.

Jedes Kind entwickelt sich gemäß einem natürlichen und allgemein gültigen Schema.

Es gibt also so etwas wie einen Ablaufplan der Natur. Die Reihenfolge der einzelnen Entwicklungsschritte ist genau festgelegt, da sie meist aufeinander aufbauen. Es ist also beispielsweise nicht möglich, dass ein Kind zuerst Laufen und später erst Sitzen lernt.

Die Geschwindigkeit, mit der die einzelnen Entwicklungsschritte aufeinander folgen können, kann sehr unterschiedlich in den einzelnen Entwicklungsbereichen sein. Manche Kinder lernen sehr schnell Bewegungsabläufe, sie laufen früh, klettern überall hoch und sind sehr geschickt im Umgang mit ihren Händen, andere sind nicht ganz so sportlich und eher ungeschickt und verwenden ihre Energie lieber darauf, ihre sprachlichen Fertigkeiten zu erweitern.

So hat jedes Kind in jedem Entwicklungsbereich sein eigenes Tempo und innerhalb gewisser Grenzen sind Unterschiede im Entwicklungsstand zwischen Kindern gleichen Alters völlig normal.

Aus Untersuchungen kennt man auf der anderen Seite aber auch Grenzwerte, wann Kinder einzelne Entwicklungsschritte spätestens erreicht haben sollten. Ist dies nicht der Fall, spricht man von einer Entwicklungsverzögerung.

Was sind Entwicklungsverzögerungen?

Entwicklung kann in fünf unterschiedliche Funktionsbereiche gegliedert werden:

  • Die motorische Entwicklung. Sie umfasst sämtliche Bewegungsabläufe.
  • Die geistige Entwicklung beinhaltet das Verstehen von Zusammenhängen, die Fähigkeit, sich Dinge zu merken, und das gesamte Denken.
  • Die Entwicklung der Sprache. Sie enthält zwei Aspekte – das Verstehen von Sprache und das eigene Sprechen.
  • Die emotionale Entwicklung bezeichnet die Entwicklung des Gefühlslebens. Während der Säugling nur wenige Gefühle zum Ausdruck bringen kann, lernt das Kind im Lauf der Entwicklung, viele Abstufungen wahrzunehmen und sie richtig einzuordnen.
  • In ihrer sozialen Entwicklung lernen Kinder die Regeln des Umgangs mit anderen Menschen.

Kinderärztinnen und Kinderärzte sowie Entwicklungspsychologinnen und Entwicklungspsychologen haben aufgrund von Beobachtungen aus allen Bereichen der kindlichen Entwicklung Werte zusammengetragen, um Aussagen darüber treffen zu können, in welchem Alter Kinder einzelne Fertigkeiten spätestens beherrschen sollten. Somit konnte ein Rahmen festgelegt werden, in dem einzelne Entwicklungsschritte im Normalfall stattfinden.

Damit können aber auch Aussagen darüber getroffen werden, wann eine Entwicklungsverzögerung vorliegt und eine besondere Förderung notwendig wird.

Manche Kinder weisen lediglich Verzögerungen in einem Bereich auf, bei anderen sind mehrere Bereiche betroffen.

Je nachdem, wie weit ein Kind vom durchschnittlichen Entwicklungsstand im Vergleich mit Kindern gleichen Alters entfernt ist, spricht man von leichten bis schweren Entwicklungsverzögerungen.

Warum ist mein Kind entwicklungsverzögert?

Ob Entwicklung stattfinden kann und wie schnell sie vor sich geht, wird durch drei grundlegende Dinge bestimmt.

  • Vererbte und angeborene Voraussetzungen stellen die Basis der Entwicklungsfähigkeit dar. Ein Kind mit angeborener Gehörlosigkeit ist beispielsweise in seiner Sprachentwicklung so stark beeinträchtigt, dass sie nicht im üblichen Rahmen verlaufen kann.
  • Eine weitere Voraussetzung stellen bestimmte biologische Reifungsvorgänge dar, die notwendig sind, damit die folgende Entwicklungsstufe erreicht werden kann. Ein Kind kann etwa die Kontrolle über seine Ausscheidungsorgane nicht vor einem bestimmten Alter erreichen, da der biologische Reifungszustand es zuvor noch nicht ermöglicht.
  • Der dritte und wichtigste Baustein der menschlichen Entwicklung ist jedoch das Lernen. Kinder erlernen die meisten Fertigkeiten durch Wiederholung und Übung, Nachahmung und Anleitung durch ihre Bezugspersonen.

Erblich bedingte Entwicklungsverzögerungen

Entwicklungsverzögerungen können folglich erblich bedingt sein, ihre Ursachen in einer verzögerten biologischen Reifung oder in unzureichenden Lernmöglichkeiten und Anregungen haben. Oftmals treffen auch mehrere unterschiedliche Faktoren zusammen.

  • In manchen Fällen können genetische Ursachen festgestellt werden, wie etwa bestimmte Stoffwechselerkrankungen oder Erbgutdefekte.
  • Häufig werden auch Schädigungen während der Schwangerschaft durch Infektionen, Medikamente oder sonstige Schadstoffe vermutet.
  • Auch während der Geburt können Komplikationen einen Sauerstoffmangel bedingen und in der Folge zu Schädigungen des Gehirns führen.
  • Einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der Entstehung von Entwicklungsverzögerungen haben Umwelteinflüsse. Zu wenig Anregung durch das soziale Umfeld oder zu wenig emotionale und soziale Zuwendung können in erheblichem Maße zum Entstehen von Entwicklungsverzögerungen beitragen.
  • Was genau die Gründe für Entwicklungsverzögerungen bei Ihrem Kind sind, kann meist nur aufgrund umfassender medizinischer Untersuchungen festgestellt werden.

Wer kann feststellen, ob mein Kind entwicklungsverzögert ist?

Die Früherkennungsuntersuchungen dienen auch der Erkennung von Entwicklungsverzögerungen.

Wenn Sie bei Ihrem Kind deutliche Verzögerungen in einem oder mehreren Entwicklungsbereichen bemerken oder Sie sich nicht sicher sind, was genau Ihr Kind können müsste, sollten Sie zunächst mit Ihrer Kinderärztin oder Ihrem Kinderarzt über Ihre Beobachtungen sprechen.

Liegen ernst zu nehmende Hinweise vor, muss zunächst überprüft werden, wie stark Ihr Kind in den einzelnen Entwicklungsbereichen im Vergleich zu Gleichaltrigen zurückliegt und wo die Gründe dafür liegen könnten.

Falls notwendig, wird Ihre Kinderärztin oder Ihr Kinderarzt Sie zur weiteren Abklärung an andere Fachleute wie beispielsweise Fachärztinnen oder Fachärzte, Heilpädagoginnen oder Heilpädagogen sowie Psychologinnen oder Psychologen überweisen.

Kann man Entwicklungsverzögerungen behandeln?

Liegen körperlich bedingte Ursachen der Entwicklungsverzögerung vor, wird nach Möglichkeit zunächst eine Behandlung der Ursachen erfolgen.

Werden keine erkennbaren körperlichen Ursachen festgestellt oder ist eine effektive Behandlung der Ursachen nicht möglich, verbleibt oftmals nur eine Behandlungsform, bei der die mangelhaft ausgebildeten Fähigkeiten durch Übungen trainiert werden.

Viele betroffene Kinder können durch Trainings- und Übungsbehandlungen enorme Fortschritte erzielen.

Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Heilpädagogik und Psychologie beschäftigen sich mit der Behandlung und Therapie von entwicklungsverzögerten Kindern.

Welche Therapie für Ihr Kind am besten geeignet ist, hängt in erster Linie von seinen individuellen Schwierigkeiten ab.

Umfassende Beratungs- und Therapieangebote stellen auch sogenannte Frühfördereinrichtungen zur Verfügung. Daneben gibt es spezielle Kindergärten und Kindertagesstätten, die entsprechende Förderangebote im Tagesablauf integrieren können.

Sprechen Sie am besten mit Ihrer Kinderärztin oder Ihrem Kinderarzt oder den Fachleuten, welche die Entwicklungsverzögerung diagnostiziert haben, über sinnvolle Therapieansätze und geeignete therapeutische Fachkräfte in Ihrer Nähe.

Wie kann ich meinem Kind helfen?

Wenn Sie Hinweise auf Entwicklungsverzögerungen bei Ihrem Kind feststellen, sollten Sie sich möglichst bald um professionelle Unterstützung bemühen, da eine abwartende Haltung vorhandene Defizite nur vergrößert.

Ist Ihr Kind bereits in Behandlung, sollten Sie sich darüber im Klaren sein, dass die therapeutische Behandlung wesentlich schneller zum Erfolg führt, wenn Ihr Kind auch zu Hause möglichst oft Gelegenheit zum Einüben neu gelernter Fertigkeiten erhält. Dazu ist meist Ihre Unterstützung notwendig.

Üben heißt aber nicht nur, bestimmte krankengymnastische Übungen durchzuführen, Arbeitsblätter zu erledigen oder Sprechübungen durchzuführen.

Damit Ihr Kind auch Spaß am Üben hat, bieten sich viele Arten von Spielen oder Bastelangeboten an. Die behandelnde Therapeutin oder Therapeut kann Ihnen sicher wertvolle Hinweise geben, welche Spiele und Übungen für Ihr Kind geeignet sind.

Wenn die ganze Familie mitspielt, macht es besonders viel Spaß und Ihr Kind übt, ohne es als Anstrengung zu empfinden.

Auch bei der normalen Alltagsgestaltung gibt es vielerlei Möglichkeiten – ganz nebenbei – Förderübungen für Ihr Kind zu integrieren.

Weist Ihr Kind im Bereich der Sprachentwicklung Verzögerungen auf, ist es besonders wichtig, viel mit ihm zu sprechen – am besten über die Dinge, für die sich Ihr Kind besonders interessiert.

Im täglichen Umgang mit Ihrem Kind ist es wichtig, ihm zu vermitteln, dass es unabhängig von seinen Einschränkungen von Ihnen geliebt und anerkannt wird.

Sicher verfügt auch Ihr Kind über Talente und besondere Fähigkeiten im sportlichen, musischen oder sozialen Bereich. Erfolgserlebnisse in einem Gebiet, das Ihrem Kind Freude bereitet und in dem es gute Leistungen zeigt, sind für Ihr Kind besonders wichtig.

Geben Sie ihm also die Möglichkeit, seine Fähigkeiten zu entdecken, und übermitteln Sie ihm die dringend notwendige Anerkennung für seine Leistungen.