Hauptinhalt
Foto: Medienpädagogin Dr. Senta Pfaff-Rüdiger
Simone Hoffmann / München

"Vorleben ist wichtiger als Vorlabern!"

Medienpädagogin Dr. Senta Pfaff-Rüdiger gibt im Interview mit "BAER.Bayern.de" wichtige Tipps für den Umgang mit Fernsehen, Smartphone und Tablet im Alltag mit Kindern und Jugendlichen.

Was bedeutet Medienkompetenz?

Dr. Senta Pfaff-Rüdiger: Medienkompetenz ist für mich ein wichtiger Begriff im aktuellen Zeitalter, aber ich finde, dass er ein bisschen überstrapaziert wird und vor allem in dem Sinne diskutiert wird, wie es im LehrplanPLUS steht, wie es an den Schulen passiert. Dort ist es kompetenzorientiert, d. h. es gibt ein konkretes Ziel, das man erreichen kann. Und für mich ist es viel wichtiger, Medienkompetenz als Prozess zu sehen und zu schauen, wie ich die Kinder gut begleiten kann. Hier geht es um eine erzieherische Frage und eben nicht nur zu sagen, dass wenn sie diese oder jene Kompetenz besitzen, dann ist alles gut. Gleichzeitig muss Medienkompetenz auch dynamisch sein, weil sich ständig so viel verändert. Das heißt, wenn wir jetzt ein konkretes Ziel definieren, dann können wir sicher sein, dass wir in einem halben Jahr mit dem nächsten sozialen Netzwerk wieder neu anfangen müssen.

Ich habe da immer einen bedürfnisorientierten Blick drauf. Im Zuge einer Studie mit Claudia Riesmeyer, Kommunikationswissenschaftlerin an der Ludwig-Maximilians-Universität München, ist uns aufgefallen, dass Wissen alleine nicht reicht, sondern dass es oft an der Motivation und an den Bedürfnissen liegt, warum Jugendliche oder Kinder ihr Wissen, beispielsweise das Einstellen einer Privatssphäre-Einstellung, nicht ins Handeln überführen. Wenn man Kindern und Jugendlichen etwas beibringen möchte, ist es immer wichtig, ihren Bedürfnissen gerecht zu werden.

Wie können Eltern ihr Kind medienkompetent erziehen?

Dr. Senta Pfaff-Rüdiger: In erster Linie ist das Begleiten wichtig und das genaue Hinschauen, Interesse zeigen, neugierig sein. Damit meine ich nicht, dass man alles gemeinsam mit dem Kind machen muss, denn Kinder brauchen auch ihren Freiraum. Aber sie müssen das Gefühl haben, dass man sich für das interessiert, was sie machen. Anschlusskommunikation ist extrem wichtig!

Je früher man damit anfängt, mit den Kindern über die Medien zu sprechen, desto einfacher ist es später, wenn die größeren Probleme auftreten und die Pubertät kommt. Es ist wichtig, die Bedürfnisse wahrzunehmen und nicht den Medienkonsum abzuwerten. Ich muss schauen, was dahintersteckt, warum mein Sohn so lange spielt. Oft können die Kinder das auch ganz gut ausdrücken, wenn man sich für sie interessiert.

Zum anderen gilt – wie der Autor und Erziehungsexperte Jan-Uwe Rogge schon gesagt hat: "Vorleben ist wichtiger als Vorlabern". Weil sich die Kinder von uns viel abschauen, z. B. die Smartphone-Nutzung. Wenn man als Erwachsener oder Erwachsene die ganze Zeit am Handy hängt, ist es für das Kind unverständlich, warum es selbst dies nicht darf.

"Je früher man damit anfängt, mit den Kindern über die Medien zu sprechen, desto einfacher ist es später, wenn die größeren Probleme auftreten und die Pubertät kommt.“

Welches ist das beste digitale Medium für den Einstieg? Die meisten werden wohl nach wie vor klassisch mit dem Fernsehen beginnen? Wie ist es mit Smartphone und Tablet?

Dr. Senta Pfaff-Rüdiger: Ich finde, man muss es gar nicht wirklich üben, denn die Technik haben die Kinder und Jugendlichen ganz schnell drauf. Das zeigt sich auch schön im Vergleich mit den Großeltern, wenn der 10-Jährige das Smartphone sofort versteht. Da mache ich mir gar keine Sorgen.
Und ich halte nach wie vor die Lanze hoch fürs Fernsehen. Weil ich glaube, dass die Themen, die die Kinder mit diesem Medium verarbeiten, wichtig sind. Das wird auch in Zukunft so bleiben, auch wenn sich viel aufgrund der Flexibilität durch Streaming-Anbieter und Mediatheken verändern wird. Das "19 Uhr-Sandmännchen" wird es wohl nicht mehr sein, aber die Faszination des Fernsehens, der Bilder und der Geschichten und die praktischen Tipps der Inhalte, das wird so schnell nicht weggehen.

Und es ist immer wichtig zu schauen, wie ich es selbst im Haushalt praktiziere. Wenn viel über das Tablet gemacht wird, dann kann das Kind natürlich auch übers Tablet eine Geschichte anschauen. Ich finde es sehr wichtig, dass es alltagsnah ist und nicht nach dem Motto: Wir müssen unser Kind fit machen für die Digitalisierung und dann nehmen wir diese Lernspiele drauf und dann üben wir das jeden Tag. Weil üben muss man ja für die Schule schon genug.

Wichtig ist es, Kinder nicht künstlich davon wegzuhalten, sie aber auch nicht künstlich heranzuführen. Jedes Medium bietet viele Chancen, Kinder in ihrer Entwicklung zu unterstützen.

Es gibt eben nur noch eine Welt, in der die Geräte immer dabei sind?

Dr. Senta Pfaff-Rüdiger: Das schon, aber die Onlinemedienwelt hat zum Teil eine eigene Logik. Kinder und Jugendliche bewegen sich dort ganz natürlich, aber sie müssen sie verstehen. Zum Beispiel, dass viele Instagram-Bilder retuschiert sind und dass eine Frau, die ihr Bild mit dem Hashtag nomakeup versieht, durchaus manchmal geschminkt ist. So was müssen sie schon verstehen lernen. Sie bewegen sich dort, es ist ihr Alltag.

Streits sind beispielsweise online anders: Es geht alles viel schneller, man sieht sich nicht, es ist anonymer, so wird dort schneller eine Beleidigung ausgesprochen. Das hat dann oft Nachwirkungen auf dem Schulhof.

Da wären wir beim Thema Cybermobbing. Da ist noch kein gesellschaftliches Bewusstsein da, welchen Anteil das Medium selbst hat – natürlich ist es anonymer und es geht schneller. Gleichzeitig hat Klicksafe – die EU-Initiative für mehr Sicherheit im Netz –mit der Schreibweise "(Cyber)mobbing" darauf hingewiesen, dass es eben in beiden Welten stattfinden kann und sich verzahnt, und dass es eben nicht "cyber" bleibt, sondern auf dem Schulhof weitergeht.

Ab wann kann ich meinem Kind das erste eigene Smartphone geben? Ist da die Grundschule noch zu früh?

Dr. Senta Pfaff-Rüdiger: Das kommt ganz aufs Kind an. Die wichtige Frage ist immer: Ist es alt und reif genug, die Verantwortung für das Gerät zu tragen? Da sollte man sich überlegen, ob es vielleicht nur darum geht, dass ich als Mutter oder Vater mein eigenes Sicherheitsbedürfnis befriedige. Das sollte nicht der Grund sein, warum ich  meinem Kind ein Smartphone gebe.

Ich kenne genug Kinder in der fünften Klasse, die ihre Eltern gebeten haben, ihnen das Gerät wieder wegzunehmen. Oder auch die Eltern als "Ausrede" benutzt haben, wenn es ihnen zu viel wurde. Diese zahllosen WhatsApp-Nachrichten oder Handyspiele, das ist manchen zu viel, damit können sie noch gar nicht umgehen. Manchmal hilft es auch, wenn die Eltern ihnen ein Zeitlimit geben, das können sie dann so an die Freundinnen und Freunde weitergeben als Begründung, warum sie jetzt nicht antworten oder spielen.

Ich sehe aber auch, dass das an Grundschulen zunimmt. Ich war an einer Schule, wo mehr als die Hälfte der Kinder einer dritten Klasse ein Handy hatte. Man muss sich darüber bewusst sein, warum sie es haben. Ist es die WhatsApp-Geschichte, die viel Druck macht und durch die Streitereien losgehen können, oder geht es um die Familienorganisation, z. B. bei Alleinerziehenden? Wenn sich so mit meiner Tochter in Kontakt bleiben kann, um ihr zu sagen, dass ich länger arbeiten muss, dann ist es was anderes, aber dann reicht vielleicht auch das Tastenhandy.

Und sonst ist es glaube ich oft dieser Übertritt, wo du einen großen Entwicklungsschritt machen musst, wo sich im sozialen Umfeld viel ändert, wo das dann auch Sinn macht. Weil die Kinder dann mehr Verantwortung übernehmen in der neuen Schule und sich in ganz anderen Räumen bewegen oder bewegen müssen.

Es gibt Apps, die beim Familienmanagement helfen können. Wie sind diese Apps zu bewerten?

Dr. Senta Pfaff-Rüdiger: Viele dieser Funktionen gibt es ja auch so, einen Familienkalender etwa, ohne, dass es dafür eine eigene App braucht. Und ich frage mich, ob man Beziehungsmanagement oder das Aushandeln von Sachen wirklich ins Multimediale ziehen muss. Wenn ich möchte, dass meine Kinder das Zimmer staubsaugen, glaube ich, dass sie die Aufforderung am Handy genauso ignorieren können.

Aber hier gilt auch: Wenn es mir den Alltag erleichtert, dann würde ich das schon mal anschauen. Aber ich denke nicht, dass man alles über eine App lösen muss.

Zur Frage, ob alles digital sein muss: Echtes Buch oder E-Book?

Dr. Senta Pfaff-Rüdiger: Es gibt bestimmte Kinder, die sehr von Technik fasziniert sind, Jungs und Mädchen gleichermaßen. Diese kann ich manchmal durch die Technik auch zum Buch locken. Und dann gibt es die Vielleser, die so viel lesen, dass einem irgendwann der Platz im Bücherregal ausgeht, da macht ein E-Book auch Sinn.

Beim Vorlesen ist ein E-Book allerdings schwierig, weil ja nicht ersichtlich ist, was gerade gelesen wird. Gerade Jungs brauchen lesende Väter als Vorbilder. Wenn sie nur das digitale Gerät sehen, dann sehen sie nicht, was genau die Väter da machen. Das ist bei der Zeitung anders oder beim richtigen Buch. Ich sage nicht, dass wir alle beim Papier bleiben müssen, aber wir müssen dann mehr mit den Kindern ins Gespräch gehen und ihnen sagen, was wir gerade lesen: "Ich lese gerade einen spannenden Artikel, der ist aus der Süddeutschen Zeitung, den habe ich hier gerade auf dem Tablet."

Wie lange sollten denn Kleinkinder bis drei Jahre am Tablet/vor dem Fernseher sitzen?

Dr. Senta Pfaff-Rüdiger: Wichtig ist es hier zu wissen, dass Kinder Inhalte in kleinen Episoden verarbeiten, so wie wir das von der "Sendung mit der Maus" kennen. Das ist genau das, was sie in kleinen Happen verarbeiten können. Wenn man den Fernseher ausschaltet und dann das Geschrei losgeht, dann ist der Zeitpunkt schon erreicht, an dem sie es nicht mehr verarbeiten können und dann werden sie "wuschig". Das ist natürlich bei jedem Kind anders. Aber grundsätzlich würde ich sagen: maximal eine Sendung, also etwa 20 Minuten. Wichtig ist es zu wissen, dass sie erst mit der Entwicklung der Sprache (ab ca. zwei Jahren), die Inhalte verstehen und dem Gesehenen Sinn verleihen können.
Ab drei Jahren können sie die Bezüge zur Lebenswelt herstellen und ab da können sie viel mehr daraus mitnehmen. Vorher können sie zwar schon mitschauen, nehmen aber die Inhalte gar nicht so wahr. Die ganz Kleinen gehen deshalb oft wieder weg, wenn es ihnen langweilig wird.

Es gibt noch diese ganz alten Regeln, dass Kinder unter drei Jahren am besten gar nicht schauen sollen, das haben die Medienpädagogen und Medienpädagoginnen aber auch schon etwas abgemildert, um es dem veränderten (Familien)-Alltag anzupassen. Fernsehen unter drei Jahren ist okay, aber nur begleitet und auch nur kurz.
Und zwischen drei und fünf Jahren nur eine kurze Sendung, im Grundschulalter dann bis zu zwei Sendungen. Aber bei den Zeiten ist es wichtig, dass die Nutzungszeiten aller elektronischen Medien miteinbezogen werden. Mit älteren Kindern kann auch ein Zeit-Budget vereinbart werden und das Kind kann selbst bestimmen, mit welchem Gerät es schauen oder spielen will. Dafür bleibt dann eben weniger Zeit für ein anderes Gerät.

Mit dem Computerspielen ist es so eine Sache, da lassen sich Zeiten oft nicht richtig durchsetzen, weil oft das Spiel an einer bestimmten Stelle nicht gestoppt werden kann, weil der Spielstand zum Beispiel nicht gespeichert wird, wenn das Level nicht erreicht wird. Da ist es dann wichtiger, tatsächlich auf die Inhalte zu gehen. Eltern haben zwei Stellschrauben, um die Mediennutzung der Kinder zu regulieren: Zeit und Inhalt. Und das ist heutzutage auch beim Fernsehen immer schwieriger, weil es viel flexibler geworden ist.

"Fernsehen unter drei Jahren ist okay, aber nur begleitet und auch nur kurz.“

Muss ich beim Kinderprogramm im Fernsehen dabei sein und zuschauen?

Dr. Senta Pfaff-Rüdiger: Heute muss man tatsächlich viel situativ entscheiden, weil alles sehr flexibel geworden ist. Für das Kind ist es was Schönes, wenn man mitschaut. Selbst, wenn man die Inhalte schon kennt. Dabei geht es viel um körperliche Nähe. Wenn Kinder etwas beschäftigt, dann thematisieren sie das direkt in diesem Moment - oder es kommt später, wenn sie länger darüber nachgedacht haben. Deshalb ist es schon wichtig, dass man als Ansprechpartnerin oder -partner da ist.

Und es stellt sich die Frage, was Fernsehen für mich ist: Ist es der Babysitter? Oder ist es etwas, bei dem ich Familienzeit verbringen kann? Das geht mit dem Fernsehen natürlich besser als mit dem Handy, da dort der Bildschirm kleiner ist.

Wenn ich meinem Kind den Fernseher ausmache oder das Tablet wegnehme, flippt sie/er immer richtig aus. Wie kann ich das verhindern?

Dr. Senta Pfaff-Rüdiger: Da geht es um das Energielevel. Das steigt mit der Zeit, weil das Kind durch die visuellen Bilder stark involviert ist, sich konzentriert und mit den Bildern auseinandersetzt. Es lohnt sich, darüber nachzudenken, ob es zu viel war und beim nächsten Mal besser kürzere Sachen geschaut werden sollten. Es gibt Kinder, bei denen es super funktioniert, wenn man vorher ankündigt, dass nur eine Folge angeschaut und dann wieder ausgemacht wird.

Manche Eltern machen das mit einer Eieruhr, weil gerade bei YouTube nach einem Video direkt das nächste startet. Das Vorbereiten ist tatsächlich wichtig und sich dann wirklich daran zu halten. Und danach ist es wichtig, eine Idee parat zu haben, mit dem das Kind die Energie wieder loswerden kann. Ob das jetzt tanzen vor dem Fernseher ist, eine Runde auf dem Trampolin hüpfen, kuscheln oder ein bisschen schreien, das hängt ganz vom jeweiligen Kind ab.

Ich habe das ganze Wochenende mit meinen Kindern gebastelt, gekocht, gespielt und sie durften eine Folge ihrer Lieblingssendung sehen. Trotzdem war diese Sendung das einzige, von dem die Kinder am Montag im Kindergarten stolz erzählt haben. Warum bewerten sie das so hoch?

Dr. Senta Pfaff-Rüdiger: Hier kommt es darauf an, ob Fernsehen im Alltag etwas Besonderes ist, ob es eine Art Belohnung war. Zudem ist Visualität, egal auf welchem Medium, immer eindrücklich. Das liegt zum einen an den vielen bunten Bildern und zum anderen geht es ganz stark darum, wie sehr die Kinder involviert sind, wie viel von sich selbst die Kinder in der Sendung entdecken. Vielleicht hat sie die Folge auch so angesprochen, weil es um ein Thema ging, das sie selbst gerade betrifft. Groß und Klein sein etwa, wo jemand Kleines etwas schafft. Das ist für die Kinderperspektive auch sehr wichtig. Aber es geht wirklich auch immer um das hohe Involvement, die bunten Bilder, die Geschichten, dass sie selbst emotional viel miterleben. Das bedeutet natürlich nicht, dass das Basteln nicht schön war.

Warum schaffen es andere Personen (z. B. Opa und Oma) ein Zeitfenster zu setzen, wann der Fernseher ausgeschaltet werden soll und es klappt. Wohingegen bei uns Eltern das Geschrei/der Stress immer vorprogrammiert ist und ewige Diskussionen folgen, wenn die Fernsehzeit rum ist?

Dr. Senta Pfaff-Rüdiger: Ich finde es gut, dass es ausgehandelt wird. Das hat generell in der Erziehung zugenommen im Vergleich zu früher, dass wir ganz anders mit unseren Kindern umgehen und wir ihnen ganz andere Möglichkeiten geben, etwas auszuhandeln. Viele Eltern vermeiden jedoch die Diskussion zum Fernsehen oder mit ihren Kindern überhaupt über Medieninhalte zu reden, weil sie Angst vor einem Konflikt haben. Aber Anschlusskommunikation ist mit das Wichtigste für die Kinder, um die Inhalte zu verarbeiten und auch einen kompetenten Umgang zu bekommen. Deshalb plädiere ich sogar dafür, noch mehr in den Konflikt reinzugehen und dabei auf die Bedürfnisse der Kinder zu achten und herauszufinden, warum das Kind jetzt genau diese Sendung noch sehen mag. Und wenn man das herausgefunden hat, dann lässt sich ganz anders eine Grenze setzen, wenn die Kinder zumindest das Gefühl hatten, sie konnten sagen, was sie möchten. Auch wenn dann am Ende die Entscheidung dagegen ist, haben sie eine Einflussmöglichkeit gehabt.

Konsequente Regeln helfen natürlich auf der anderen Seite auch. Sie helfen den Kindern und geben ihnen eine Sicherheit, wenn sie genau wissen, wann Fernseh- oder Tablet-Zeit ist. Wichtig ist aber immer, dass die Kinder in ihren Wünschen wahrgenommen werden. Das bedeutet natürlich nicht, dass diese immer erfüllt werden. Und Omas machen sowieso immer alles anders. Und das ist ja auch gut so.

Bei uns daheim dürfen die Kinder nur am Wochenende fernsehen. Bei anderen Freunden gibt es solche Regeln nicht, da dürfen die Kinder jeden Tag fernsehen oder am Tablet spielen. Ich finde das nicht in Ordnung, kann mich aber schlecht in die Erziehung der anderen Eltern einmischen. Was kann ich tun?

Dr. Senta Pfaff-Rüdiger: Es ist gut für die Werte der eigenen Familie zu sehen, dass es bei anderen eben anders läuft. Kinder müssen lernen, dass es Situationen gibt, da ist es eben nicht so wie zu Hause. Das ist natürlich für mich als Elternteil schlecht, weil ich dann argumentieren muss, warum wir das jetzt nicht anschauen und die anderen es aber anschauen dürfen. Aber gleichzeitig ist es eben auch eine Möglichkeit, meinem Kind meine Werte mitzugeben. Da muss man den Mut haben, ehrlich zu sein, weil Kinder auch an einer ehrlichen Antwort interessiert sind.

Da hatte ich auch in einem Vortrag die Frage, dass ein Junge im Grundschulalter gesagt hat, der Freund dürfe schon "Call of Duty" spielen (ein Ego-Shooter mit einer Bewertung “ab 18” der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK), Anm. der Redaktion) und er will das jetzt auch spielen. Da kann man das Kind dann fragen, was denn das Besondere am Spiel ist und dann eben auch klar machen, warum man nicht möchte, dass das Kind es spielt. Das kann dann natürlich so was sein, wie dass das Spiel ab 18 Jahren ist und darin Szenen vorkommen, die jüngere Kinder noch nicht verarbeiten können. Und dann schauen, welches andere Spiel eine ähnliche Faszination ausübt. Ich würde dann trotzdem auch das Gespräch mit der anderen Mutter suchen. Oft ist es auch so, dass Kinder was behaupten, was dann vielleicht gar nicht stimmt.

Also ist es wichtig, mit anderen Eltern darüber zu reden?

Dr. Senta Pfaff-Rüdiger: Ja, das finde ich nämlich schade, dass Medienerziehung so ein Thema ist, bei dem Eltern viel zu wenig untereinander darüber sprechen. Und dabei würde es so helfen und auch entlasten, wenn man mitbekommt, dass man zu Hause genau den gleichen "Giftzwerg" hat, wenn man den Fernseher ausstellt. Manchmal hilft es ja auch zu hören, wie es jemand macht, um zu merken, dass man es eigentlich anders machen möchte. Oder es kann eine emotionale Unterstützung sein, wenn ich merke: Anderen Eltern geht es genauso.

Da gibt es ja auch die Möglichkeit, sich bei den ELTERNTALKS der Aktion Jugendschutz anzumelden.

Dr. Senta Pfaff-Rüdiger: Oder einen Vortrag, den man in der Schule gehört hat zu nutzen, um nachher nochmal mit den Eltern im Anschluss weiter ins Gespräch zu kommen.

Ich bin in den sozialen Netzwerken, in denen meine Kinder sind (Snapchat, Instagram oder YouTube), nicht angemeldet und kenne mich auch überhaupt nicht mehr aus. Wie kann ich mein Kind trotzdem beschützen?

Dr. Senta Pfaff-Rüdiger: Aktiv sein muss ich nicht, ich sollte mich aber anmelden. Nicht um mein Kind zu kontrollieren, sondern damit ich es mir einfach einmal angeschaut habe, was dort passiert, damit ich die ganzen Instagram-Fitness-Körperbilder auch mal gesehen habe und weiß, in welcher Eindrücklichkeit das dort passiert. Oft ist die Altersangabe ein Richtwert, aber meistens macht es Sinn, Kinder diese Medienangebote nicht vorher nutzen zu lassen. Ich hatte das im Bekanntenkreis, wo eine Achtjährige, nachdem sie mit der älteren Cousine auf Instagram Bilder mit Thigh Gap (Englisch für “Oberschenkellücke”, Anm. der Redaktion) angeschaut hat, aufgehört hat zu essen, weil sie dachte, sie sei zu dick, was sie natürlich nicht war. Kinder sind sehr sensibel, nicht nur die Mädchen, sondern auch die Jungen. Und da kann man überlegen, was man seinem Kind ersparen möchte.

Anders ist es mit WhatsApp, das ist ja mittlerweile auch erst ab 16, aber da hat die Praxis die Regelung überholt, weil dort viele Eltern sind, um mit ihren Kindern zu kommunizieren.
Dann gibt es noch die Klassenchats. Da muss man verstehen, dass es ein ganz natürliches Bedürfnis ist, dass das Kind dabei sein will. Gerade wenn es in eine neue Klasse kommt, will es mitbekommen, was passiert. Da ist es wichtig zu schauen, was das eigentliche Bedürfnis ist, ob das Kind die Freundinnen und Freunde nicht auch anders treffen kann.
Da bekomme ich auch immer mehr mit durch meine eigene Tochter und durch Workshops mit, dass Fünftklässlerinnen und -klässler eigentlich emotional noch gar nicht in der Lage sind, Konflikte auszutragen. Ihre Empathie Fähigkeit ist in dem Alter noch nicht so stark ausgeprägt und in diesem WhatsApp-Umfeld bräuchten sie diese eigentlich. Da sind Eltern gefordert, ihre Kinder zu unterstützen, da müssen Eltern mit ihren Kindern ins Gespräch kommen. Auf keinen Fall sollten sie heimlich die Chats lesen, stattdessen nachfragen, was in den Chats passiert.

Also anmelden ja, befreunden auch?

Dr. Senta Pfaff-Rüdiger: Das würde ich tatsächlich nicht machen. Deswegen sind die Kinder ja alle nicht mehr auf Facebook, weil sie nicht sehen wollen, was die Eltern posten. Das war ja schon immer wichtig für die Jugend, dass man einen elternfreien Raum für sich hat. Deshalb ist es wichtig, sie vorher mit dem "Handwerkszeug" auszustatten, dass sie sich dort sicher bewegen können. Also ein Grundwissen zum Thema Datenschutz mitzugeben, dass sie wissen, was gepostet werden kann und was nicht. Auch zum Thema "Mobbing" aufzuklären. Diese Einführung mit dem Handy müssen Eltern ja nicht unbedingt selber machen. Falls man sich selbst nicht so gut auskennt, dann kann man gerne Verwandte oder Freunde mit ins Boot holen.

Wir hatten ja gerade schon das Körperbewusstsein angesprochen, was sich durch die Nutzung diverser Foto-/Video-Apps verändern kann. Soll man so eine App verbieten, oder was ist der richtige Weg?

Dr. Senta Pfaff-Rüdiger: Ich würde tatsächlich mit einem Gespräch herausfinden, wie stark das Kind dadurch belastet ist. Ich würde dann so eine Art "Instagram-Fasten" vorschlagen, damit geschaut werden kann, wie es einem danach geht. Nach einem bewussten Verzicht und einem anschließenden Gespräch haben sie einen ganz anderen Umgang damit. Am besten wiederholt man das dann nach einer Zeit wieder.

Wichtig ist es aber immer, ein feines Gespür dafür zu haben, was gerade bei den Mädchen passiert, weil diese – wobei es bei den Jungs nun auch mehr und mehr zunimmt – sich sehr über ihren Körper definieren. Ich würde es nicht verbieten, eher mal gemeinsam Bilder anschauen und darauf hinweisen, dass das Bild retuschiert ist, die Person in echt gar nicht so aussieht. Bei Jungs sollte man aufpassen, dass es nicht in dieses Übertrainieren reingeht.

Wie ist eine generelle Nutzung der online angebotenen Sport- und Ernährungs-Apps zu bewerten? Ist das gefährlich für Jugendliche, weil sie dort mehr Anleitungen zum Optimieren des Körpers bekommen?

Dr. Senta Pfaff-Rüdiger: Ich finde es dahingehend gefährlich, dass es mittlerweile im Fitness- und Gesundheitsbereich eine zu starke Leistungs- und Erfolgsorientierung gibt. Ich finde es viel wichtiger, dass Kinder einen gesunden Umgang mit ihrem Körper bekommen. Wenn es nur um den Besitz einer Smartwatch (digitale Armbanduhr; Anm. der Redaktion) geht, um zu kontrollieren, wie der Puls ist, wie viel ich gelaufen bin, dann finde ich das nicht verwerflich. Wenn es sich aber um eine Vorstufe zur Magersucht handelt, eine Art "Restraint Eating" ("gezügeltes Essverhalten", Anm. der Redaktion), bei der alle Nahrung stark kontrolliert wird, dann kommen sie leicht in eine Art Abhängigkeit herein, aus welcher sie alleine nicht mehr herauskommen. Hier brauchen sie Hilfe von außen.

Weiter mit dem Thema "Sexting": Meine Tochter verschickt Bilder von sich in Unterwäsche an ihren Freund. Ich finde das nicht okay, habe Angst, dass sie sich später darüber ärgern wird. Wie kann ich ihr klarmachen, dass das gefährlich werden kann?

Dr. Senta Pfaff-Rüdiger: Es gibt von Handysektor (Handysektor ist eine Ratgeber-Website der Medienanstalt für Baden-Württemberg, Anm. der Redaktion)  ein nettes Video, in dem erklärt wird, was Sexting ist. Wichtig ist, dass den Jugendlichen bewusst wird, auch wenn sie jetzt in dieser Vertrauenssituation sind und es sich um die große Liebe handelt, dass es nicht für immer sein kann und dann ein Foto existiert, was gegen sie verwendet werden kann. Das wird als "Sextortion" ("sexuelle Erpressung", Anm. der Redaktion) bezeichnet und es passiert häufig.

Es ist wichtig, die Mädchen stark zu machen und ihnen klarzumachen, dass sie sich zu nichts zwingen lassen sollen. Ich schlage hier eher das Versenden lustiger Memes (Memes sind lustige Fotos oder Videos, die im Internet kursieren, Anm. der Redaktion) vor, anstatt Selfies, beispielsweise ein Bild mit einem Dinosaurier und dem Text "Nicht in einer Million Jahren". Ein Mädchen hat das mal so gelöst, dass sie auf die Bitte ein Bild von sich im BH zu schicken, den BH auf den Boden gelegt, ein Passbild reingelegt, abfotografiert und das so dem Jungen geschickt hat. Da verlieren die Mädchen nicht ihr Gesicht und der Junge auch nicht. Aber es wird klar, dass das Mädchen nicht bereit ist, das geforderte Bild zu machen. Wenn die Mädchen das gemeinsam erstellen und bereits auf dem Smartphone gespeichert haben, sind sie vorbereitet und können gleich eine Grenze setzen.

Sexting kann zu Cybermobbing führen. Wie erkenne ich die ersten Anzeichen von Cybermobbing? Was kann ich tun, um meinem Kind zu helfen?

Dr. Senta Pfaff-Rüdiger: Die Signale sind wie die beim Mobbing und beginnen oft mit dem Rückzug des Kindes. Wenn man es an schulischen Leistungen merkt, wenn Kinder aggressiver werden, wenn es körperliche Signale wie Bauchschmerzen gibt, dann sollte man nachhaken. Oder wenn das Kind nicht mehr weiß, wo sein Handy ist, wenn Sachen beschädigt sind, wenn es nicht mehr in die Schule will. Mobbing kann ja auch offline sein, bzw. es ist oft beides zusammen.
Ich finde es wichtig, im Vorfeld zu besprechen, was nicht mehr okay ist, was man sich auch nicht gefallen lassen muss. Oft ist es auch eine Hilflosigkeit, dass sie sich nicht wehren können, was es dann wiederrum dem Täter oder der Täterin leicht macht. Hier gilt es also, sie stark zu machen. Und den Kindern, falls die Hürde zu den Eltern zu hoch ist, andere ältere Geschwister, Gruppenleiter, Gruppenleiterinnen oder andere Vertrauenspersonen vorzuschlagen, an sie sich in dem Fall wenden können. Ideen gibt es viele z. B. einen digitalen Kummerkasten. Kinder schaffen es oft nicht alleine wieder rauszukommen, was aber sehr wichtig ist! Die Opfer müssen aus ihren negativen Emotionen raus.

Kindern hilft es oft, sich bewusst zu machen, auf welcher Ebene sie sich gerade schlecht fühlen: Ist es was Körperliches wie Bauchschmerzen, sind es meine Gefühle, oder bin ich hilflos? Und dann versuchen, das umzudrehen. Also Kindern im Vorfeld schon Handlungsstrategien mitzugeben, die über ein "Stop! Block! Tell!" (Aufhören! Blockieren! Erzählen!) hinausgehen. Das könnte auch wieder so ein Meme sein, das klar macht "Mit mir nicht!".

In Richtung Resilienzstärkung (Widerstandsfähigkeit stärken) also?

Dr. Senta Pfaff-Rüdiger: Genau. Vorab schon. Natürlich muss ich mich dann viel um mein Kind kümmern und mir überlegen, wie stark greife ich ein, wann gehe ich zu den anderen Eltern? Aber wenn das Kind am Boden ist, ist es in meiner Verantwortung als Elternteil, dass ich mich darum kümmere.
Ich bekomme immer wieder durch meine Workshops mit, dass die Jugendlichen sich von Schul- und Lehrkräfteseite nicht gut unterstützt fühlen. Dass oft gar nicht gefragt wurde, worum es in einem Streit ging, sondern nur, dass diese oder jene Beleidigung nicht in Ordnung sei. Dann fühlen sich sowohl Opfer als auch Täter oder Täterinnen nicht wahrgenommen und nicht ernst genommen.

Deshalb ist eine fundierte Lehrerausbildung wichtig.

Dr. Senta Pfaff-Rüdiger: Ja, denn meistens passiert sowas im Schulkontext, z. B. im Klassenchat. Und Lehrer und Lehrerinnen sind dann auch oft überfordert.

Wir als Eltern sind beruflich bedingt sehr oft am Laptop/Tablet/Smartphone. Unserem Kind erlauben wir aber maximal eine Stunde täglich am Smartphone bzw. Tablet. Wie schaffen wir es, unserem Kind trotzdem ein gutes Vorbild in Sachen Mediennutzung zu sein?

Dr. Senta Pfaff-Rüdiger: Selbstreflexion ist wichtig. Es gibt verschiedenen Möglichkeiten mit der ganzen Familie zu überlegen, wie lange man selbst und wie lange die Kinder am Handy sind. Wichtig ist es auch, feste Familienzeiten einzuhalten, in denen das Handy einfach nicht dabei ist, beim Essen beispielsweise. Man soll sich gut überlegen, wann das Handy denn wirklich gebraucht wird, und wann es nur ein Zeitvertreib ist. Wenn es einem selbst hilft, dann kann man auch eine Art "Handygarage" einführen, wo die Handys alle für eine bestimmte Zeit geparkt werden. Dann sind sie auch aus dem Blickfeld. Das ist auch wichtig bei kleinen Kindern: Wenn das Tablet da ist, dann ist es automatisch auch interessant, wenn es nicht gesehen wird, ist es weniger interessant.

"Wenn es einem selbst hilft, dann kann man auch eine Art "Handygarage" einführen, wo die Handys alle für eine bestimmte Zeit geparkt werden.“

Mein Kind ist abends im Bett oft noch stundenlang am Smartphone und morgens dann entsprechend hundemüde. Wie kann ich ihm klarmachen, dass das nächtliche Surfen im Internet ungesund ist?

Dr. Senta Pfaff-Rüdiger: Ich bin eine absolute Verfechterin davon, abends das Handy wegzunehmen, weil es Mitschüler und Mitschülerinnen gibt, die mitten in der Nacht noch etwas schreiben. Gerne im Bett noch ein bisschen schreiben, aber wenn das Licht ausgemacht wird, dann schreibt man "Gute Nacht", dass die Freundin weiß, der Chat ist für heute vorbei. Sonst folgen zehn weitere "Gute Nacht", denn die Kinder sind noch nicht so weit zu merken, dass sie die anderen mit den Nachrichten stören könnten.

Den anderen Grenzen zu setzen in den digitalen Medien ist ein ganz schwieriges Thema, weil es eben von der Medienlogik her so grenzenlos ist. Du kannst alles immer machen – wie sagt man da jemandem, dass man genau das nicht will? Da sind dann die Regeln, die Verbote, der Eltern doch mal ganz praktisch.

Ich glaube, mein Kind ist handysüchtig! Wenn es daheim ist, ist es mit dem Smartphone verwachsen. Es sagt aber, dass alle Freundinnen und Freunde ständig am Handy sind. Das muss so sein, sonst wird man ausgegrenzt. Was kann ich tun?

Dr. Senta Pfaff-Rüdiger: In der Pubertät werden die sozialen Grundbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Integration immer stärker. In der Peergroup (Gleichaltrige Gruppe) liegt der Fokus auf den sozialen Bedürfnissen. In der Schule fehlt oft die Zeit, sich zu unterhalten, das wird dann am Nachmittag nachgeholt. Ich kann als Eltern anbieten, mein Kind zu den Freunden oder Freundinnen zu fahren, da ist das Handy dann weniger interessant. Süchtig wird ein Kind, wenn sie/er eines der Grundbedürfnisse nur noch mit diesem einen Medium erfüllen kann. Und wenn ich weiß, mein Kind hat das starke Bedürfnis nach sozialer Integration, Teil einer Gruppe zu sein, dann würde ich gemeinsam mit dem Kind überlegen, wie sich das Bedürfnis auch anders erfüllen lässt.

Für die Website "BAER.Bayern.de" bedankt sich Christine Bulla für das nette und informative Gespräch!

Medienpädagogin
Dr. Senta Pfaff-Rüdiger studierte Kommunikationswissenschaft und promovierte zum Thema "Lesemotivation und Lesestrategien". Nach zehn Jahren in Forschung und Lehre am Institut für Kommunikationswissenschaft der LMU München hat sie sich als Medienpädagogin selbstständig gemacht.