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Was genau ist Salafismus eigentlich?

In Bayern wie auch bundesweit ist Salafismus aktuell die dynamischste, am schnellste wachsende islamistische Strömung. Die Anhängerinnen und Anhänger des Salafismus legen den Koran und die Sunna (überlieferte Lebens- und Glaubenspraxis des Propheten Mohammed und seiner Gefährten) so wörtlich wie möglich aus. Sie orientieren sich kompromisslos an der Zeit der sogenannten "Salaf al-salih", d.h. der ersten drei Generationen der Muslime (7. bis Anfang 9. Jahrhundert). Eine Anpassung des Islams an den jeweils aktuellen zeitlichen Kontext kommt für sie einem Abweichen vom Glauben gleich.

Weltliche Gesetze und das westliche Wertesystem lehnen Salafisten als "unislamisch" und unterlegen ab. Politisch geht diese Haltung einher mit der Ablehnung des demokratischen Rechtsstaates: Da Allah als der alleinige Herrscher und die Scharia als einzig erlaubtes Gesetz gesehen werden, lehnt der Salafismus die Volkssouveränität und die aus ihr resultierenden Gesetze ab.

Der "Kampf" gegen die "Ungläubigen" ist in Teilen des Salafismus durchaus militärisch zu verstehen. Doch nicht alle Salafisten sind gewaltbereit. Der sogenannte "politische Salafismus", der in Deutschland überwiegt, will seine Ideologie durch intensive Propagandaaktivitäten verbreiten. In einem langfristigen Prozess soll die Gesellschaft nach salafistischen Normen grundsätzlich umgestaltet werden. Obwohl politische Salafisten offene Gewaltaufrufe vermeiden, schließen sie religiös begründete Gewalt, beispielsweise Körperstrafen, nicht grundsätzlich aus.

Als Antwort auf die islamistische Ideologie des Salafismus in Bayern, wurde 2015 das Bayerische Netzwerk für Prävention und Deradikalisierung gegen Salafismus errichtet. In diesem Netzwerk verfolgen Staat und Zivilgesellschaft gemeinsam einen umfassenden und ressortübergreifenden Ansatz, der bereits bei der Vorbeugung einer Radikalisierung ansetzt. Im Zentrum steht dabei der Schutz vor der extremistischen Ideologie – insbesondere für junge Menschen. Auf der Homepage des Netzwerks finden Interessierte wie Betroffene relevante Hintergrundinformationen zum Salafismus, Informationen über die konkrete Arbeit des Netzwerks sowie vertrauenswürdige Anlaufstellen für alle Belange: von Schulungsbedarf bis zur Soforthilfe

Auf der Kampagnenseite "Antworten auf Salafismus" der Bayerischen Staatsregierung finden Eltern und Jugendliche Antworten auf alle Fragen zum Thema "Salafismus".

Wo liegen die Gefahren beim Salafismus?

Der Salafismus fördert ein Schwarz-Weiß-Denken. Richtig oder falsch – Schattierungen existieren nicht. Mit diesem vereinfachten Weltbild vermitteln Salafisten den Anschein, selbst auf komplexe Fragen des Lebens einfache Antworten geben zu können. Damit ist der Salafismus besonders für Menschen gefährlich, die auf der Suche sind: nach sich selbst, nach Antworten auf grundlegende Fragen, nach Halt und Orientierung im Leben. Hier setzen Salafisten an und werben um neue Anhängerinnen und Anhänger für ihre radikale Ideologie. Ihre unverhandelbare Einteilung der Gesellschaft in "gläubig" und "ungläubig" stellt sich dabei gegen unsere freiheitlich-demokratischen Prinzipien. Pluralismus, also die Vielfalt von Interessen oder Lebensstilen, Gleichberechtigung und Meinungsfreiheit sind mit der salafistischen Ideologie nicht vereinbar. Damit gefährdet der Salafismus den Frieden und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.

Der Salafismus gilt zudem als Nährboden für den islamistischen Terrorismus: die bislang durchgeführten islamistischen Anschläge und vereitelte Anschlagsplanungen im Westen haben fast ausschließlich salafistische Bezüge. Teile der salafistischen Bewegung rufen weiterhin zu Anschlägen auf und propagieren den bewaffneten Jihad gegen die "Ungläubigen".

In der salafistischen Szene kristallisiert sich zudem das neue Phänomen der sogenannten "2. Generation der Salafisten" heraus. Es handelt sich um islamistisch radikalisierte junge Menschen, die eine Familie gründen und deren Kinder den Einflüssen ihrer radikalisierten Eltern und deren Umfeld ausgesetzt sind.

Die Prävention gegen extremistische Ideologien ist daher zentral. Prävention hilft, Probleme zu vermeiden, bevor sie entstehen. Analog zum medizinischen Grundsatz "vorbeugen ist besser als heilen", gilt bei der Prävention von Extremismus das gleiche Prinzip: Prävention macht Menschen immun gegen extremistische Botschaften. Sie verringert die Gefahr, dass sich Menschen radikalen Ideologien zuwenden und womöglich sich selbst oder andere gefährden.

Wer ist besonders gefährdet/anfällig?

Radikalisierungsprozesse und ihre Hintergründe sind individuell. Eine allgemeingültige "Checkliste" mit Voraussetzungen für eine Radikalisierung gibt es nicht. Doch gerade Jugendliche, die nach ihrer Rolle und ihrem Platz in der Gesellschaft suchen, sind besonders beeinflussbar. Der Salafismus bietet ihnen eine scheinbar klare Orientierung und Antworten auf ihre Fragen an.

Wichtige Faktoren sind unter anderem:

  • die Schaffung eines starken Wir-Gefühls in der salafistischen Gemeinschaft, die jede Person als wichtiges Mitglied einer weltweiten solidarischen Gemeinschaft anerkennt.
  • die klare Abgrenzung der salafistischen Lebensführung gegenüber der Mehrheit der westlichen Gesellschaft. Sie erzeugt Aufmerksamkeit und bietet eine definierte Form der Rebellion gegen den Mainstream und die Welt der Elterngeneration.
  • der Überlegenheitsgedanke des Salafismus, der den Anschluss an eine vermeintlich elitäre (erlesene) Gruppe ermöglicht.

Welche Jugendlichen werden angeworben?

Sind Jungen gefährdeter als Mädchen? Obwohl Jungen und junge Männer im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen, werben Salafisten auch um Mädchen und junge Frauen. Der Grund dafür ist denkbar simpel: Keine Gemeinschaft kann ohne Frauen fortbestehen.
Besonders über Propagandamaterial im Internet werden z.B. IS-Kämpfer als coole Helden stilisiert. Mit der romantischen Vorstellung an der Seite eines solchen vermeintlich aufrechten Helden als Ehefrau und Mutter einer sinnvollen Aufgabe nachzugehen oder gar ein höheres Ziel zu verfolgen, verspricht der IS seiner weiblichen Zielgruppe ein erfülltes Leben.

In welcher Altersgruppe sind Jugendliche am gefährdetsten?

Neben reiner Kriegsromantik spielen jedoch auch Erfahrungen von Ausgrenzung und Diskriminierung eine wichtige Rolle. Jungen Frauen, die in westlichen Gesellschaften als Muslime ausgegrenzt wurden, wird ein sicheres Leben unter Gleichgesinnten versprochen. Auch eine vermeintliche Gleichberechtigung unter den Geschlechtern wird propagiert – trotz strikter Rollenverteilung. Denn für Mädchen, die als Kinder und Jugendliche weniger Freiheiten erfahren haben als beispielsweise ihre Brüder, stellt die strikte Regeleinhaltung für angeblich beide Geschlechter eine neue Form von Gleichberechtigung dar, die dem westlichen Verständnis der Gleichberechtigung jedoch widerspricht.

Wo werden Jugendliche angeworben?

Ist der direkte Weg oder via Social Media gefährlicher? Salafisten nutzen unterschiedliche Wege, um neue Mitglieder zu gewinnen. Zum einen führten sie jahrelang bundesweit Propaganda-Aktionen durch, wie "Islam-Infostände" in Fußgängerzonen oder mehrtägige "Islamseminare". Mittlerweile ist jedoch eine Strategieänderung der salafistischen Szene beobachtbar: Ein Großteil der Aktivitäten wird konspirativer (geheimer), z.B. vernetzen sich Szeneangehörige durch nicht-öffentliche Treffen in Wohnungen (Home-Da’wa) oder an anderen privaten Orten. Diese Veranstaltungen befassen sich thematisch hauptsächlich mit Koranstudien bzw. der salafistischen Auslegung des Korans.

Zum anderen nutzen Salafisten gezielt das Internet, um ihre Ideologie zu verbreiten. Salafistische Websites und Social-Media-Profile sind auf die Lebenswelt junger Menschen in westlichen Ländern abgestimmt – von der Sprache bis zu Symbolen. Selbst Kinder im Vorschul- und Grundschulalter stehen im Blickpunkt salafistischer Gruppierungen. So gab es auf der Website des im November 2016 verbotenen salafistischen Propaganda-Netzwerks "Die Wahre Religion" einen eigenen Bereich "Kinder im Islam". Dort standen Spiele und Basteltipps, Arbeitsblätter, Geschichten, Gebete und Hörbücher zum Download oder Druck bereit.

Salafistische Websites sind für einen Laien auf den ersten Blick nicht als solche erkennbar. Die Betreiber dieser Online-Angebote nutzen allgemeine islamische Themen und Symboliken. Der Einstieg in das Thema Salafismus erfolgt also oft über den Türöffner "Islam".

Wie erkenne ich die Anwerber/innen?

Die Missionierungsarbeit (Da’wa) ist fester Bestandteil der salafistischen Ideologie. So gehört es zur religiösen Pflicht eines jeden Salafisten, neue Anhängerinnen und Anhänger zu werben, auch wenn nicht jeder Salafist dieser Pflicht nachkommt. Kontaktversuche von Extremisten können an unterschiedlichen Orten auftreten. In der Vergangenheit wurden Jugendliche immer wieder in der Fußgängerzone bei Infoständen angesprochen, wo ihr Interesse geweckt und ein erster Kontakt hergestellt werden konnte. Oft werden Anwerbeversuche unter dem Deckmantel der Mitmenschlichkeit getarnt, wobei "vorrangig" weltweit Muslime in Krisengebieten durch Spenden unterstützt werden sollen. Auch in Moscheen können Jugendliche gezielt angesprochen werden. Viele der Anwerbeversuche finden zudem im digitalen Raum, wie beispielsweise über soziale Medien, Online-Diskussionsforen und Messenger-Dienste statt.

Extremisten versuchen dabei meist an Problemlagen von Jugendlichen anzuknüpfen, um einen Zugang zu diesen zu bekommen. Das Erkennen solcher Anwerber/innen kann sich als schwierig herausstellen, da sie meist nicht direkt für extremistische Ideologien werben, sondern für den Islam als Religion. Ähnlich wie bei einer Radikalisierung, gibt es keine eindeutigen Indizien, die salafistische Anwerber/innen von außen identifizierbar machen. Eine salafistische Einstellung ist eher im direkten Gespräch mit dem vermuteten Anwerbenden feststellbar.

Welche ersten und eindeutigen Anzeichen für eine Radikalisierung meines Kindes/meines Schülers gibt es?

Einschneidende Ereignisse wie der Verlust eines geliebten Menschen oder eine Trennung der Eltern, können Jugendliche für die salafistische Ideologie empfänglich machen. Auch Frust, Einsamkeit oder die Suche nach der eigenen Identität sind häufige Gründe. Eine Radikalisierung ist jedoch stark von der einzelnen Person und deren Umfeld abhängig, und somit kein einheitlicher, immer gleich ablaufender Prozess. Ein eindeutiger Anfangspunkt, der auf eine Radikalisierung hindeutet, kann daher nicht bestimmt werden.

Beobachtbare Indizien Anzeichen für eine Radikalisierung können jedoch sein:

  • Vermeidung von Kontakt zu "Ungläubigen"
  • Freundschaftsbrüche und/oder Zerwürfnisse mit dem Elternhaus
  • Veränderungen der moralischen Sichtweise
  • Aggressive Missionierungstendenzen, die auch andere auf den "einzig richtigen Weg" bringen sollen
  • Anhören von gewaltverherrlichenden islamistischen Gesängen (Nashids), Besuch von salafistischen Internetseiten und Besitz von salafistischem und jihadistischem Propagandamaterial
  • klares Schwarz-Weiß- bzw. Gut-Böse-Denken in Diskussionen
  • Jenseits-Fixierung und Bezugsverlust zum eigenen, irdischen Leben

Jedoch gilt: Nicht jedes Indiz für sich allein genommen muss eine Radikalisierung bedeuten. Eltern, Freunde, Lehr- und Fachkräfte haben gute Chancen, erste Anzeichen für eine islamistische Einstellung zu erkennen. Denn Personen, die sich radikalisieren, befinden sich gleichzeitig in einem Veränderungsprozess. Diese Veränderungsprozesse können teilweise bemerkt und beobachtet werden. Wichtig ist immer, den Kontakt zum Jugendlichen zu halten und sich bei Unsicherheiten oder Verdachtsfällen externe Beratung und Unterstützung zu holen.

Wie unterscheide ich "Show" (Protest) von einer richtigen Überzeugung bei meinem Kind/bei meinem Schüler?

Jugendliche, die provokant oder aggressiv auftreten, sind nicht gleich radikalisiert oder extremistisch. Auf der Suche der eigenen Identität setzen sich Jugendliche oft sehr provozierend mit ihren Eltern, mit Lehrkräften und mit der staatlichen Autorität auseinander. An die Grenzen zu stoßen hilft vielen dabei, die eigene Haltung zu finden. Das bedeutet aber nicht zwingend, dass sie extreme Positionen auch wirklich dauerhaft verinnerlichen oder gar Gewalt anwenden.
Jugendliche wollen ihre Umwelt und die Welt an sich verstehen, oft auch zum Besseren verändern. Aber: Was ist das Bessere? Und was ist eigentlich richtig und falsch? Während Jugendliche nach Orientierung suchen, sind sie sehr offen für Antworten und Erklärungen – aber auch für Ideologien (Weltanschauungen). Hier setzen die Salafisten an – und deshalb muss hier auch die Prävention stattfinden.

Außerdem wissen wir: Auf der Suche nach der eigenen Identität probieren junge Menschen vieles aus, sind mitunter unsicher. Wenn sich also der Freundeskreis wandelt, sich Ernährungsgewohnheiten verändern oder bestimmte weltanschauliche Ansichten vertreten werden, muss das kein Signal für eine Radikalisierung sein.
Extremistische Ansichten, ein striktes Schwarz-Weiß-Denken, massiver Rückzug oder aggressiv vertretene religiöse Überzeugungen sollten aber generell zum Nachdenken über das Verhalten der Jugendlichen und zum Gespräch mit ihnen führen.

Wie kann ich als Eltern vorbeugen, dass mein Kind gar nicht in solche Kreise gerät?

Kinder und Jugendliche brauchen Vertrauen und Anerkennung. Wer ihre Gedanken und Sorgen ernst nimmt und sie dabei unterstützt, ihren Platz in unserer Gesellschaft zu finden, leistet bereits die beste Präventionsarbeit. Für Fragen oder Probleme im Alltag gibt es zahlreiche Anlaufstellen in Bayern – für Jugendliche, für Eltern, für die Familie, für Lehrkräfte und Fachkräfte. Diese Anlaufstellen stehen auch zur Verfügung, bevor Probleme entstehen und helfen gerne bei Fragen und Unsicherheiten weiter.

Mein Kind hat neue Freunde, die mir seltsam erscheinen, und wendet sich immer mehr von uns ab. Was kann ich tun?

Eine besonnene Reaktion ist immer wichtig. Verbote reizen Jugendliche häufig zu unbedachtem und überstürztem Handeln. Viel besser ist es, mit dem Jugendlichen im Gespräch zu bleiben und Hintergründe zu erfragen.

Wer sich als Erwachsener in dieser Situation unsicher fühlt, sollte sich an eine Beratungsstelle wenden. Je früher Fachleute helfen, die Situation einzuschätzen, umso größer ist die Chance, eine echte Gefährdung abzuwenden.

Die Beantwortung der Fragen erfolgte in Zusammenarbeit mit Partnern des Bayerischen Netzwerks für Prävention und Deradikalisierung gegen Salafismus.